Wollen wir Gesellschaft aktiv sozial gestalten, haben wir es mit drei Herausforderungen zu tun: [ 1 ] Erhöhte Komplexität & Dezentralisierung der Systemarchitektur unserer Gesellschaft (z. B. Internet, Globalisierung). In Konsequenz heißt das: Wir müssen einen systemischen Blick auf die Welt entwickeln, um soziale Wirkung zu erzeugen. Das gelingt nur, wenn wir über [ 2 ] Co-Kreation & Kollaboration die intersektoralen Grenzen überwinden. Daraus folgt [ 3 ] dass Märkte, Arbeit und Führung fließen. Doch wie bereitet sich eine Organisation zukunftsrobust auf diese Herausforderung vor? Welche Kompetenzen und Führungsprinzipien braucht es? Wie gelingt der Systemwechsel?
Am Freitag, den 24.07.2020 war Dr. Joana Breidenbach zu Gast im PARITÄTischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg e.V. Die Impulse zur Mittagspause heißen “BrainFood” (Hirnfutter). Zu Pausenbrot und Salat erhalten wir in dieser Online-Vortragsreihe Denkanstöße. Themen sind: Zukunftsvisionen, Innovationen, Partizipation, Eigenverantwortung, Digitalisierung, soziale Arbeit, Grundrechte usw.
Mit dem Thema “New Work needs inner Work” gab Joana den Auftakt. Sie ließ uns zunächst einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Social Innovators betterplace lab werfen. Und ging dann ein auf den Veränderungsprozess der Firma hin zu einer kompetenz-basierten, selbstorganisierten Netzwerk-Organisation. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, führte sie uns in die Höhen und Tiefen der Transformation. Sie ließ uns teilhaben an ihren Einsichten und Erkenntnissen. Sie war bereit, offen auf Fragen zu antworten.
Eine ausführliche Zusammenfassung meiner Erkenntnisse aus diesem einstündigen Wissens- und Erfahrungsaustausch schrieb ich für EnjoyWork auf. Daraus greife ich hier die wichtigsten Punkte heraus.
Digital-sozialer Think- und Do-Tank betterplace lab
Die Geschichte der betterplace lab gGmbH beginnt mit der Geschichte von betterplace, Deutschlands größter Spendenplattform. Am 9. November 2007 ging das Portal erstmals online. Seither bringt es Menschen international zu Projekten mit Social Impact zusammen. Heute arbeiten 70 Personen und 2 Hunde für die gemeinnützige Aktiengesellschaft gut.org. In den vergangenen 12 Jahren wurden 105.654.029 Euro über die Plattform an Spenden für 35.566 Projekte, die Gutes tun, in 185 Ländern gesammelt. 120 Unternehmenspartner engagieren sich via betterplace.org.
Dabei erwies es sich als immer erfolgskritischer, die vorwiegend gemeinnützigen Organisationen auch in der digitalen Transformation zu begleiten – und gleichwohl insgesamt die digitale Transformation der Gesellschaft sozialer zu gestalten. Daher gründete sich ein kleines Team aus und formierte das unabhängige betterplace lab. So beschreibt sich das Team auf ihrer Website:
“ Wir wollen die Digitalisierung sozial gestalten und für das Gemeinwohl nutzbar machen. Dazu forschen und experimentieren wir in innovativen Projekten. Wir sind Brückenbauer zwischen Sektoren und brechen Silos auf, im Kopf, in Organisationen und in unserer Gesellschaft. Denn es geht nicht nur um Tools, sondern um die sozialen Potentiale der digitalen Transformation: Wie werden wir in Zukunft miteinander arbeiten? Welche Werte befördert der digitale Wandel – im Einzelnen und in Kollektiven? Wie kann die gerechte und nachhaltige Welt von morgen aussehen? Die Erkenntnisse verpacken wir in Studien, Workshops, Veranstaltungen oder inspirierende Geschichten.
Quelle: Das betterplace lab in einer Minute
Kompetenz-basierte, selbstorganisierte Netzwerk-Organisation
In der alltäglichen Projektarbeit zeigte sich zunehmend, dass das stark auf Joana Breidenbach als zentrale Führungspersönlichkeit fokussierte Organisationsmodell an seine Grenzen stieß. Es war der hohen Komplexität und Dynamik des Umfelds, in dem sich das betterplace lab bewegt, nicht gewachsen. So beschäftigte sich Joana mit der Frage ihrer Nachfolge und stieß dabei auf „Reinventing Organisations“ von Frederic Laloux. Mit der gemeinsamen Sommer-Lektüre beginnt dann auch der Transformationsprozess des betterplace lab, der sich grob mit 7 Schritten beschreiben lässt:
[ 1 ] Vorüberlegungen zur Nachfolge
[ 2 ] Organisationsentwurf auf dem Reißbrett
[ 3 ] Freiheiten für alle
[ 4 ] Führung neu verteilt
[ 5 ] Realexperimente und Erprobung der neuen Arbeitsorganisation in der Praxis
[ 6 ] Start des inneren Wachstums-Prozesses
[ 7 ] Ermächtigen, dass das Team in seine innere Kraft und Klarheit kommt
Am Ende des ersten Findungsprozesses zur Frage, wie sie zukünftig leben und arbeiten wollen, legt das 14-köpfige Team die Rahmenbedingungen für ihre Zusammenarbeit im betterplace lab unter anderem so fest:
- Freie Wahl von Projekten, Arbeitsplätzen und Arbeitszeiten
- Entscheidungen werden mit Konsultation getroffen
- Konfliktresolution-Prozesse
- Gemeinsame Budget-Planung
- Peer-to-Peer Gehälterverhandlungen
- Kollegen stellen Kollegen ein (Dezentralisierung von Personalprozessen)
- Kein Boss, kein Management; aber “Überblicker” zum Im-Blick-Behalten der gesamten Organisation und Vorbeugen von Projekt-Silos (z. B. für Finanzen, Team, Strategie, Öffentlichkeitsarbeit, IT)
Zusammengefasst als betterplace lab Verfassung
“ Die Verfassung verdeutlicht die Arbeitsweise und Organisationsstruktur des betterplace lab. Gerade wenn es keinen Chef gibt, auf dessen Schultern man Verantwortung abladen kann, ist es wichtig zu wissen, nach welchen Regeln unsere Prozesse ablaufen.
Zitiert aus der Verfassung des betterplace lab
Welche Rahmenbedingungen werden für Selbststeuerung gebraucht?
Joana sprach im Rahmen des BrainFood zahlreiche Einflussfaktoren auf gute Arbeit an, die jeder für sich genommen, Wert wäre, vertieft zu werden. Ich greife mir aus dieser Fülle zwei heraus, die mir besonders wichtig erscheinen und gehe auch hier kurz darauf ein:
- Prinzip der Freiwilligkeit
- Balance der äußeren und inneren Sicherheit
Prinzip der Freiwilligkeit
Niemand kann Wachstum anordnen. […] Das Problem mit vielen “Change-Prozessen” ist, dass sie angeordnet werden. Dass dann Berater im Haus sind, […] wo man sich – vermutlich zurecht – Gedanken um seinen Arbeitsplatz macht. […] und jetzt soll ich auch noch an meiner Persönlichkeit arbeiten?!
Ich glaube, das [Wachstumsprozesse und Transformation] kann nur eine Einladung sein. Menschen – in meinem Weltbild – wollen sich weiterentwickeln, sind neugierig per se und möchten nicht 20 Jahre an einer Stelle im Unternehmen bleiben. Es geht darum, viel Respekt für den natürlichen nächsten Schritt eines Jeden zu haben. Dafür braucht es entsprechende Unterstützungsmaßnahmen. […]
Und dass man ganz klar kommuniziert: Wir begeben uns auf eine Reise in die Zukunft. Wir wissen auch nicht, was das Ergebnis sein wird. Es geht nicht darum, dass jede selbstorganisiert arbeitet. Es geht für jede Unternehmung / jedes Team darum, für sich den nächsten Schritt zu finden. […] Niemand erwartet von Euch, dass ihr das von heute auf Morgen könnt. Sondern viele von diesen Sachen – kreativer zu sein, selbstverantwortlicher zu sein – können wir lernen. Wenn ihr Lust habt, dann lernt mit!
Joana Breidenbach
betterplace lab gGmbH
Quelle: BrainFood: New Work Needs Inner Work [ 31’38“ ]
Gerade dieser letzte Satz mag mancher Chefin, manchem Chef sehr mutig erscheinen. Ist es auch. Denn zur Wahlfreiheit und Entscheidungsfreiheit gehört natürlich auch die Freiheit, “Nein” zu sagen. Nicht alle Menschen in einer Organisation wollen einen Veränderungsprozess zu Selbstorganisation mittragen.
“ Es ist eine Herausforderung, ihn so inklusiv zu gestalten, dass Menschen, die ein sehr großes Sicherheitsbedürfnis haben, auch damit klarkommen, dass unsere Arbeitswelt und die Welt “da draußen” unsicherer wird.
Joana Breidenbach
betterplace lab gGmbH
Quelle: BrainFood: New Work Needs Inner Work [ 34’20“ ]
Damit stellt sich natürlich die Frage: Wie entsteht im Team und in einer Organisation das Gefühl von Sicherheit? Was genau ist überhaupt damit gemeint?
Balance der äußeren und inneren Sicherheit
“ In dem Moment, wenn ich ganz viele Regeln im außen wegnehme, muss ich mit meinen Kollegen in der Lage sein, mich fluide, situativ abzusprechen. Ich muss viel mehr über sie wissen, zum Beispiel wer hat welche Fähigkeiten und wer kann was übernehmen. Und ich muss eine höhere Kompetenz haben, konfliktfähig zu sein. […]
Was bei uns sehr wichtig war: Das wir uns als Team als Lerngemeinschaft verstanden haben. Dass wir gesagt haben, wir stehen einander zur Verfügung. Wir werden viele Fehler machen. Wir werden einander verletzen, gerade wenn man so offen miteinander kommuniziert. […] Dass wir uns dafür einen großzügigen Raum gegeben und gesagt haben, wir wollen es zusammen lernen.
Joana Breidenbach
betterplace lab gGmbH
Quelle: BrainFood: New Work Needs Inner Work [ 24’26“ / 33’27“ ]
Dahinter steht wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Joana mit uns teilte: Dass wir eine Balance der Kräfte brauchen, damit wir Menschen mit Mut und Vertrauen kreativ und arbeitsfähig in selbstgesteuerten Organisationen sein können. Woran macht sich ein Gefühl der Sicherheit fest? Joana sprach im Rahmen des BrainFood zwei Denkmodelle an, die das betterplace lab aufgegriffen hat und für ihre Arbeit anwendet und nutzt:
- Der Integrale Ansatz mit seiner AQAL-Matrix zielt darauf, Situationen besser wahrzunehmen und zu erfassen, um mit anderen darüber ins Gespräch kommen zu können.
- Das Modell der Grundbedürfnisse kann darin unterstützen, eine ausgewogenere Balance zwischen Sicherheit/Zugehörigkeit und Wachstum/Selbstausdruck zu finden.
In der Integration beider Denkmodelle kam Joana zum Schluss:
“ In dem Moment, wo wir im Außen sehr viel Sicherheit haben – weil wir zum Beispiel in einer Bürokratie arbeiten, wo sehr viele Rahmenbedingungen vorgegeben werden und alles verregelt ist — dann brauchen wir im inneren nicht so viel Orientierung und Sicherheit. Aber in dem Moment, wenn wir in Richtung Selbstorganisation gehen und Sicherheit im außen radikal abbauen, müssen wir unsere persönliche Sicherheit an einer anderen Stelle finden. […]
Die [Sicherheit] muss dann in uns selbst als Menschen kommen. Wir müssen in uns eine andere Klarheit haben, eine andere Verankerung und Orientierung in uns selbst finden. Und nicht nur in uns selbst sondern auch miteinander. Kommunikativ müssen wir viel stärker und klarer werden, um die vielen Strukturen, die im außen bei diesen neuen Arbeitsweisen wegfallen, zu kompensieren.
Joana Breidenbach
betterplace lab gGmbH
Quelle: BrainFood: New Work Needs Inner Work [ 20’50“ ]
Joana drückt das mit einer stark vereinfachten Grafik aus [ 20’52’‘ ], die ich nach längerem Draufrumdenken weiterentwickelt und für EnjoyWork adaptiert und ergänzt habe – in der Hoffnung, sie dadurch leichter verständlich zu machen:

Verlagerung des Steuerungsschwerpunkts von der formalen Arbeitsorganisation Fremdsteuerung) hin zu informellen, organisationskulturellen Entscheidungsprämissen in selbstgesteuerten Netzwerk-Organisationen
Interesse geweckt und Du möchtest mehr erfahren?
Via EnjoyWork gehe ich auf all die genannten Punkte näher ein und führe ergänzend aus, welche Kompetenzen wir brauchen, um erfolgreich in selbstorganisierten und selbstwirksamen Organisationen agieren zu können. Ich erläutere die Denkmodelle und Denkwerkzeuge und analysiere Joanas Vortrag detaillierter. Zudem findest Du dort das Video samt Inhaltsverzeichnis. Bitte hier entlang:
EnjoyWork braucht das Arbeiten an den Handlungskompetenzen
Bleib neugierig,
Franziska
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